Daß es in der Spätphase der DDR neben den offiziellen Bilderfabriken von Babelsberg (DEFA) und Adlershof (Fernsehen) auch eine lebendige filmische Subkultur gegeben hat, ist noch immer weithin unbekannt. Dabei werden gerade in Zeiten unseliger „Ostalgie“ Zeugnisse einer von der Staatsdoktrin abweichenden Perspektive immer wichtiger. Hier gilt es, einiges zurechtzurücken. Denn östlich der Elbe breitete sich keineswegs eine ausschließlich von jubelnden Kleinbürgern und FDJlern bevölkerte Kulturbrache. Vielmehr streute eine höchst vitale Subkultur beharrlich Sand ins Getriebe der Bürokratie, praktizierte ästhetischen und zivilen Ungehorsam auf teilweise hohem Niveau. Mehr als 10 Jahre nach dem Fall der Mauer erscheinen die von uns gesammelten, seinerzeit unter äußerst provisorischen Bedingungen entstandenen Filme mehr denn je als Botschaften von einem anderen Stern. Sie haben nichts von ihrer Faszination eingebüßt.
Erst nach 1976, nach dem sogenannten „Biermann-Schock“, der endlich zu einer Zäsur unter den linken Intellektuellen der DDR geführt hat, konnte es zur Bildung einer authentischen Gegenkultur kommen. Es trat eine völlig neue Künstlergeneration in die (beschränkte) Öffentlichkeit; eine Generation, die sich befreien konnte von den Verklärungen der Aufbaujahre. Man gab sich nicht länger der Illusion hin, von innen heraus die vorgefundene Gesellschaft ändern zu können, quasi auf die Potenzen eines „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ zu setzen. Stattdessen schuf man sich eine eigene Wirklichkeit. Nicht zufällig entstanden zu Beginn der 80er überall im halben Land Selbsthilfe-Galerien, wurden im Siebdruckverfahren Zeitschriften hergestellt, scherten sich Punkbands einen Dreck um ein „staatliches Spielerlaubnis“. Und wurden viele Meter Schmalfilm belichtet, die u.a. in privaten Räumen, im Rahmen der offenen Kirchenarbeit, in Galerien und Konzertsälen zur Aufführung gelangten. In Rosenwinkel, Berlin, Dresden, Greifswald und Karl-Marx-Stadt gab es sogar improvisierte Festivals.
Es waren zunächst Maler, die Ende der 70er Jahre das brachliegende Medium des Super-8-Films für sich entdeckten. Mittels der eigentlich für Urlaubsaufnahmen vorgesehenen sowjetischen »Quartz«-Kamera machten sie sich daran, ihre Ausdrucksskalen zu erweitern, das Dogma des klassischen Tafelbilds aufzubrechen. Multimediale Aktivitäten von A.R. Penck in Dresden oder von Lutz Dammbeck in Leipzig lösten eine regelrechte Welle von Malerfilmen aus. Später, als sich der Schwerpunkt der subkulturellen Szene mehr und mehr von Sachsen aus nach Ost-Berlin verlagerte, änderte sich auch die Filmsprache, wurde erzählerischer. Heute verblüfft vor allem der über große Strecken apolitische Gestus der Filme. Konkrete Angriffe auf Umweltprobleme oder die Militarisierung des Alltags wird man z.B. vergeblich suchen. Vielmehr scheint es, als hätte eine regelrechte Verweigerung gegenüber der DDR-Banalität vorgeherrscht. Womit man täglich unfreiwillig konfrontiert war, sollte nicht auch noch Eingang in die Gefilde der Kunst finden. Dennoch fungieren die vorliegenden Filme, vielleicht sogar unfreiwillig, als wertvolle Zeitkapseln von hohem dokumentarischen Wert.
1) Lutz Dammbeck
»Hommage á La Sarraz«
1981 - 12 Minuten
Kamera: Thomas Plenert
Dammbeck bezieht sich bei seiner assoziativen Collage auf das berühmte Treffen maßgeblicher Filmemacher im schweizerischen La Sarraz (1929) an dem neben Sergej Eisenstein und Alexander Tissé, Walter Ruttmann und Bela Balzs vermutlich auch Luis Bunuel teilnahmen. Das Scheitern dieser künstlerischen Utopie wird zur national- und realsozialistischer Ästhetik ins Verhältnis gesetzt. »Hommage á La Sarraz« verkörpert eines der wichtigsten Dokumente des filmischen Undergrounds in der DDR; Bestandsaufnahme trister DDR- Gegenwärtigkeit und Pamphlet künstlerischen Ungehorsams.
2) Gino Hahnemann
»September September«
1986 - 6 Minuten
Verlassene, regennasse Straßen im Ost-Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg, eine Performance in einer Kirche und vom Bildschirm abgefilmte Aufnahmen eines Interviews mit Jean-Luc Godard - Protokolle eines Aufenthalts im geschlossenen Raum, zugleich Reflexion über das Filmemachen selbst.
3) Cornelia Schleime
»Unter weißen Tüchern«
1983 - 9 Minuten
Eine junge Frau kleidet sich an, schmückt sich, bewegt sich durch Innenräume, scheint in Erwartung eines Ereignisses, das sein Geheimnis nicht enthüllt. Die Räume ergreifen schließlich Besitz von ihr. Verschlüsselte, surreale Szenen als Reaktion auf das Gefühl der angehaltenen Zeit, des gleichzeitig Ein- und Ausgeschlossenseins.
4) Cornelia Klauß
»Samuel«
1984 - 4 Minuten
Ein verlassener S-Bahnsteig als Schauplatz für eine Parabel der Gleichschaltung: das Kind Samuel wird in die Rituale der Erwachsenenwelt eingebunden, die nichts Abweichendes duldet. Ein poetischer, unaufdringlicher Film zur Musik von Beethovens »Mondscheinsonate«.
5) Volker Lewandowsky
»Report - Kommentar zu einem Kommentar«
1987 - 7 Minuten
Rhythmisierte Collage aus found footage und selbtgedrehten, rätselhaften Bildern - eine Hommage an Heiner Müllers Shakespeare-Bearbeitung »Titus Andronicus - The Fall of Rome«.
6) Thomas Frydetzki
»Engelchen«
1985 - 9 Minuten
Morbider Kurzspielfilm um eine junge Frau mit nekrophilen Neigungen, aufgenommen in der Trümmerlandschaft Leipzigs.
7) Claus Löser
»Nekrolog«
1985 - 6 Minuten
Paranoia als Lebensgefühl in einem Kurzspielfilm aus Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz).
8) Tohm die Roes
»7 x 7 Tatsachen aus dem hiesigen Leben des Dichters Tohm di Roes«
1983 - 17 Minuten
Rundumschlag gegen die selbstzufriedene Spießigkeit des ostdeutschen Alltags, unverholen agressiv unjd narzistisch, getragen vom Geiste des deutschen Expressionismus, des Wiener Aktionismus und der Poesie William S. Burroughs‘. Di Roes, dessen Punk-Band »Klick + Aus« die Musik zum Film einspielte, wurde später in den Westen abgeschoben.
9) Thomas Werner
»Guten Tag, Berlin«
1987 - 12 Minuten
Werner greift Ionescos Idee (»Die kahle Sängerin«) auf, eine Schallplatte mit Sprachlektionen als Basis für eine absurde Handlung zu benutzen. Er verschneidet diese Spielhandlung mit einem offiziellen Werbefilm über Ost- Berlin als „sozialistische Hauptstadt der DDR“ und führt so den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit pointiert vor.
10) Ramona Köppel-Welsh
»Konrad! Sprach die Frau Mama…«
1989 - 9 Minuten
Fundmaterial, alte Amateurfilmaufnahmen aus Familienbesitz, Bilder von der Berliner Mauer und kurze, inszenierte Passagen verdichten sich zu einem klaustrophobischen Film-Gedicht über das eingemauerte Leben im Osten Deutschlands.
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